Die Geschichte der Beziehung von Melanie und Pavel ist rasch erzählt. Es passierten ja wenige bemerkenswerte Sachen.

Woher Pavel sein Frauenbild hatte, können wir nur vermuten. In seinem Elternhaus hatte er ja nicht viel erlebt, das ihm eine Mann-Frau-Beziehung erstrebenswert erscheinen hätte lassen können. Er muss da wohl auf irgendwelche Werbungen, Filme, dann aber höchstens aus der B-Kategorie, und Angebergeschichten zwischen Männern seines Metiers rückgegriffen haben. Grundsätzlich hatte er ja ein wenig Angst vor Frauen. die er deshalb nicht an sich heranließ und zum Ausgleich eher brutal behandelte. Aber eine Beziehung: Wunderschön musste sie sein, seine Frau, und eine Mischung zwischen Heiliger und Hure. Sie sollte an seinen Lippen hängen, ihm, alles glauben, ihn verehren, ihm alles geben. Bei Berührung sollte sie in einen willenlosen sexuellen Rausch devoter Ausprägung verfallen, aber nur ihm gegenüber. Andere Männer sollten ihr uninteressant sein. Das führte mit Melanie irgendwie in ein Dilemma, das Pavel für sich so löste, dass er davon ausging, dass Melanie alle ihre Freier zutiefst verachtete und ihnen in erster Linie nur ihr Geld abnahm. Aber es war insgesamt nicht so einfach mit Melanie. Sexuell hatte sie ihm berufsbedingt natürlich einiges zu bieten, ein wenig fehlte ihm aber die unterwürfige Entrückung. Und auch im Alltagsleben war sie ihm meist nicht die Bewunderin, die er sich gewünscht hätte. Sie stellte sich ihm nicht entgegen, was auf ihre depressive Grundstimmung zurückzuführen war. Davon wusste Pavel aber nichts, und er wäre auch niue auf die Idee gekommen, dass Melanie psychisch leiden könnte. Für ihn war sie nur zäh, gerade an der Grenze zum Widerstand durch Passivität. Er fragte sie, er konnte keine widerständigen Motive erkennen. So lebte er sein Leben mit Melanie, wie er es sich vorgestellt hatte, wie er es beschloss. Sie gingen fein Essen, ins Theater, in Bars. Sie absolvierten Urlaube an den angesagtesten Reisezielen. Er kaufte ihr Schmuck, zahlte ihr Kosmetiksitzungen. Hin und wieder schenkte auch sie ihm etwas, aber meist konnte er damit nichts anfangen: Einen Schal, ein Hemd, ein Notizbuch...

Wenn er sich zu wenig geliebt fühlte, suchte er nach anderen Frauen. Aufgrund seiner Umgangsformen landete er regelmäßig bei eben einer Prostituierten und immer im Bett. Manchmal zogen sich solche Techtelmechtel sogar über Wochen hin, aber er kehrte dann immer zurück zu Melanie, die das alles ja mitbekommen hatte. Irgendwie hatte er dann auch Reuegefühle, die er als Liebesbeweis genoss und zelebrierte.

Insgesamt war es mit Melanie nicht so toll, wie er es sich erträumt hatte, bei Weitem nicht so toll. Aber vielleicht waren seine Erwartungen einfach nur weit überzogen gewesen.

Melanie konnte mit - oder neben? - Pavel ein stabiles und sicheres Leben führen.

Ein einziges Mal wurde sie von Pavel geschlagen, verprügelt, vergewaltigt. Dann ging sie, und Pavel sah sie nie mehr lebend wieder. Der Ausbruch ereignete sich im Jahr 2002, kurz nach der Umstellung auf den Euro als offizielles Zahlungsmittel. Pavel war aufgefallen, dass sich Melanie seltsam zurückgezogen hatte. Sie sprach mit ihm, mehr und fröhlicher als er es erwartete. Er konnte sie aber nicht mehr berühren, ohne dass sie sich ihm entwand, und so fragte er sie, was denn wäre. Sie entwand sich einer Antwort, er fragte dringender, sie wies ihn zurück. Der Dialog steigerte sich, wurde wilder und wilder, bis er ihr auf den Kopf zusagte - er vermutete dies ja nicht einmal, er wollte sie nur dazu bringen, nachzugeben, auf ihn zuzugehen - dass es einen anderen gäbe. Sie wurde still, formell, straffte ihren Körper, bejahte die konkrete Frage. Für Pavel blieb die Zeit stehen, erstarrte die Luft, erweichte der Fußboden. Dann wuchs blitzartig eine wilde Wut. Er ging auf Melanie zu, ohrfeigte sie, stieß sie zurück, dass sie fiel. Er zog sie an einer Hand in die Ecke des Zimmers, richtete sie auf, lehnte sie gegen die Wände und boxte ihren ganzen Leib, bis sie die Augen verdrehte und zusammen sank. Er trat sie, riss sie an den Haaren in die Höhe, zerrte sie zur Kücheninsel, über die er sie beugte und vergewaltigte. Es war seltsam, hatte nichts von Liebe an sich, nichts von Begehren, keinerlei persönliche Gefühle. Es war, als erfülle er einen Auftrag, eine bestellte Arbeit. Und als er gekommen war, wusch er sich ein wenig, gleich in der Küche, gleich mit der Küchenrolle, zog seine Kleidung zurecht, und ging. Wahrscheinlich war er in wilder Rage, aber er fühlte sich nüchtern, realistisch, als vollkommener Herr seiner Sinne und Gefühle.

Viele Minuten später schaffte es Melanie, sich wieder zu mobilisieren, sich halbwegs zurechtzurichten. Sie suchte alles zusammen, was sie brauchen würde, ihre Papiere, alles Bargeld, was sie in der Wohnung finden konnte, einige Sanitärartikel, etwas Wäsche. Dabei plante sie für die nächsten Tage. Mit einem großen Trolley-Koffer und stark überschminkt ging sie zur Straße, stieg in ein gerufenes Taxi und ließ sich zum Hauptbahnhof führen.

Als Pavel nach zwei Tagen wieder die Wohnung betrat, war es ihm eine fremde. Er ärgerte sich über Melanie, die ihn so ins Unbekannte tappen lies, die ihm jede Chance genommen hatte, irgendwas wiedergutzumachen.